Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister Gabriel,
angesichts der aktuell komplizierten deutsch-türkischen Beziehungen haben Sie vor wenigen
Tagen einen offenen Brief veröffentlicht, der sich an die türkeistämmigen Bürger*innen in
Deutschland richtete.

Eine Bestätigung durch ein hohes autoritatives Amt der Bundesregierung über die
Zugehörigkeit der Deutschtürken zu Deutschland begrüßen wir sehr. In Zeiten des
gestiegenen weltweiten Rechtspopulismus sind diese Worte eine gelungene Antwort auf
Ressentiments und Diskriminierungen gegenüber Deutschtürken und der
Gesamtbevölkerung und zugleich ein Bekenntnis ihrer Zugehörigkeit.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung Ihres Briefes ist im Kontext der bilateralen Beziehungen
und der Integrations- und Teilhabedebatte der Deutschtürken allerdings kritisch zu sehen.
Trotz der Entscheidung ehemaliger Gastarbeiter und ihrer Nachkommen, sich in Deutschland
als ihre neue Heimat niederzulassen, war das gesellschaftliche und politische Bewusstsein
nicht in ausreichendem Maße vorhanden, dass auch sie ein gleichberechtigter Teil
Deutschlands sind. Für unsere Bürger mit türkischer Zuwanderungsgeschichte ist es enorm
wichtig, unabhängig der politischen Entwicklungen als Teil der Gesamtgesellschaft
wahrgenommen zu werden. Für solch ein Bekenntnis, was richtig und wichtig ist, dürfen
anstehende Wahlen oder die bilateralen Beziehungen keine Motivation für ein Bekenntnis
darstellen. Wir hätten uns diesen Schritt zu einem früheren Zeitpunkt gewünscht, was eine
deutlich stärkere Aussagekraft gehabt hätte. Dennoch hoffen wir auf eine baldige
Entspannung der über 500 Jahre fortdauernden engen Beziehungen.

Um den Worten kontextunabhängig Glaubwürdigkeit zu verleihen, fordern wir – ein für
besonders Deutschtürken zentrales Thema – die Aufklärung der NSU-Morde, welche
Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 versprochen hatte. Dabei werden die für den Prozess
wichtige Akten durch den hessischen Verfassungsschutz für 120 Jahre unter Verschluss
gehalten. Die Begründung hinsichtlich des Schutzes der Informanten ist besonders für
Deutschtürken nicht vermittelbar und weckt den Eindruck, dass im Justizwesen mit zweierlei
Maß geurteilt wird. Nach wie vor sind die rassistisch-rechtsterroristischen Strukturen in den
Sicherheitskreisen nicht aufgedeckt.

Zukunftsrelevante Themen wie Diskriminierungserfahrungen im Bildungswesen sowie im
Arbeits- und Wohnmarkt, fehlende Anerkennung, destruktive Islamdebatten, größeres
Armutsrisiko sind dabei nur einige, die stärker in den Fokus der politischen Agenda rücken
und dabei differenziert und fair debattiert werden müssen.

Wir hoffen auf ein stärkeres Engagement seitens der Politik, um das friedliche
Zusammenleben konstruktiv zu gestalten und das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen mit
Migrationshintergrund zu stärken.

Mit freundlichen Grüßen

Türkisch-Deutsche Studierenden und Akademiker Plattform e.V.